Wir trafen Vera Lux auf dem Future Hospital-Kongress in Köln und kamen schnell über die Entwicklungen im Gesundheitswesen ins Gespräch. Als Managementberaterin für Pflege und Health Care sowie dank ihrer langjährigen Erfahrung als Pflegedirektorin und Vorstandsmitglied der Uniklinik Köln gab sie uns dabei anregende Einblicke in die Gesundheitsbranche. Es freut uns deshalb sehr, dass sie in diesem Gastbeitrag ihre Haltung zum Patientenerleben erläutert.
Das Gesundheitswesen hat in den letzten Jahren vielseitige Veränderungen erfahren. Dank der medizinischen und technischen Entwicklungen sind selbst bei schweren Krankheiten die Überlebenschancen gestiegen. Sowohl kleinste Frühgeborene als auch hochaltrige Patienten haben inzwischen gute Chancen, erfolgreich behandelt zu werden und oft auch eine lebensbedrohliche Erkrankung zu überleben. Allerdings nehmen im hohen Alter chronische Leiden wie Krebs oder oder Demenz zu.
Mit der Umstellung der Krankenhausfinanzierung vom Selbstkostendeckungsprinzip auf ein pauschaliertes Entgeltsystem – German Diagnosis-Related Groups – (G-DRG) im Jahr 2003 hat aber auch der ökonomische Druck auf die Krankenhäuser zugenommen. Die Verweildauer im Krankenhaus ist seither von durchschnittlich 8,9 (2003) auf 7,3 Tage (2017) zurückgegangen; die Fallzahlen sind von 17,3 Mill. (2003) auf 19, 4 Mill. (2017) gestiegen (DeStatis 10.03.2019). Mit der Umstellung auf die G-DRG´s wurden die Verpflichtung zum Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems ins KHG aufgenommen.
Patientenmeinungen sind sichtbar geworden.
Im Rahmen des Qualitätsmanagements wurden seither unter anderem systematische Patientenbefragungen durchgeführt. Damit wurde erstmals die Patientenperspektive in den Mittelpunkt gerückt und die Patientenzufriedenheit gemessen. Patientenbefragungen sind heute die Regel und werden mittlerweile entweder kontinuierlich nach der Entlassung oder aber anhand einer Stichprobenbefragung durchgeführt. Folgende Kriterien stehen bei den Befragungen u. a. im Fokus:
- Kommunikation
- Information
- Wartezeiten
- Vertrauen
- Freundlichkeit des Personals
- Ausstattung Patientenzimmer
- Organisation und Prozesse
- Essen
- Sauberkeit
Seither hat sich in den Kliniken im Hinblick auf die Patientenorientierung einiges getan. Über regelmäßige Patientenbefragungen versuchen die Krankenhäuser den Grad der Zufriedenheit von Patienten mit dem Krankenhausaufenthalt zu erfahren bzw. Schwachstellen zu identifizieren. Auch die Krankenkassen befragen ihre Versicherten nach einem Krankenhausaufenthalt und stellen den Krankenhäusern die Ergebnisse sowie einen Benchmark zur Verfügung. Ein wichtiger Gradmesser für zufriedene Patienten ist die Weiterempfehlungsrate. Je höher diese ausfällt, umso besser ist die Bewertung des Krankenhauses. Dies ist neben weiteren ein wichtiges Kriterium, an denen sich viele Patienten orientieren, wenn sie für einen elektiven Eingriff nach einer Klinik suchen.
Anforderungen von Patienten und Angehörigen an Kliniken sind gewachsen.
Anforderungen von Patienten und Angehörigen an Kliniken sind gewachsen.
Das Thema „Patientenerleben“ im Krankenhaus hat in den letzten Jahren aus den oben aufgeführten Gründen an Bedeutung gewonnen. Nicht zuletzt liegt dies aber in der höheren Souveränität und im gestiegenen Anspruchsverhalten der Patienten begründet. Diese kommen heute mit deutlich anderen Erwartungen in ein Krankenhaus als noch vor wenigen Jahren.
Lange Wartezeiten, keine oder unzureichende Informationen, unfreundliches Personal, mangelnde Hygiene, schlechtes Essen u. a. werden immer weniger toleriert und Unzufriedenheit wird eher geäußert. Hierfür gibt es vielfältige Möglichkeiten und Wege. Dazu zählen Beschwerden an das interne Beschwerdemanagement oder Meldungen an die Patientenfürsprecher/ Patientenfürsprecherinnen, an die Krankenkassen, den Patientenbeauftragten des BMG. Auch wird die Unzufriedenheit unmittelbar in öffentlichen Foren kommuniziert. Mängel, ob begründet oder nicht, gelangen so viel schneller in die Öffentlichkeit. Das bedeutet, dass der höhere Stellenwert des Patientenerlebens meiner Erfahrung nach nicht primär aus der veränderten Haltung der Krankenhäuser gegenüber den Patienten entspringt, sondern er wird durch die Erwartungen und das Verhalten der Patienten und Angehörigen selbst forciert.
Patienten werden mehr und mehr zum Konsumenten – auch in Krankenhäusern.
Die Gesellschaft verändert sich und die Erwartungen von Patienten und Angehörigen sind schon heute andere als noch vor einigen Jahren. Das bezieht sich sowohl auf die Unterbringung als auch auf die Kommunikation, den Einsatz und die Nutzung von digitalen Medien, den Informationsbedarf sowie die Informationsbereitstellung und -vermittlung, als auch auf eine partizipative Entscheidungsfindung (shared decision–making (SDM). Kernelement dafür ist u. a. eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Patienten und Arzt. Das kann auch auf andere Beziehungen im Krankenhaus übertragen werden. Die Krankenhäuser müssen sich auf diese neue Art des Umgangs mit den Patienten und Angehörigen einstellen, wenn sie wirtschaftlich überleben und gleichzeitig den Anforderungen an eine moderne Gesundheitsversorgung auf hohem medizinischen und technischen Niveau gerecht werden wollen. Patientenorientierung und Patientensicherheit sind dabei essenzieller Bestandteil.
Trotz des Lippenbekenntnisses: Häufig fehlt konsequente Patientenorientierung.
Leider braucht der Wandel in den Krankenhäusern aufgrund von tradierten und hierarchischen Strukturen länger als in anderen Branchen. Auch wenn viele Krankenhäuser nach außen „Patientenorientierung“ propagieren, hat im Inneren oft kein wirklicher Kulturwandel (Change) stattgefunden. Nach wie vor ist die Haltung gegenüber Patienten und Angehörigen häufig noch diese:
Der Patient hat sich an die Organisation und an die Gegebenheiten des Krankenhauses anzupassen bzw. sich in diese einzufügen und nicht umgekehrt.
Noch immer wird die Organisation zu häufig an einzelnen Personen oder einzelnen Abteilungen ausgerichtet. Für diese ist dann der Prozess zwar optimal, in angrenzenden Bereichen aber kann der Ablauf negativ beeinflusst bzw. sogar erschwert werden. Gibt es für eine Erkrankung z. B. nur einen ausgewiesenen ärztlichen Experten orientieren sich die Abläufe nach dessen Verfügbarkeit und alles andere muss hintanstehen. Fällt der Experte unerwartet aus oder ereignet sich ein Notfall, wird der Prozess gestört/gestoppt und es kommt zu Verzögerungen, langen Wartezeiten oder sogar zum Ausfall der geplanten Prozedur bzw. des Eingriffs.
Ein Grund ist auch, dass sich Krankenhäuser mit hochrangigen medizinischen Experten nicht explizit um Patienten bemühen mussten; diese kamen von selbst und waren froh, dass sie aufgenommen und behandelt wurden. Entsprechend haben sie viel ertragen bzw. über sich ergehen lassen, wie z. B. schlechte Organisation mit langen Wartezeiten, schlechtes Essen, unfreundliches Personal etc. Das ist heute so nicht mehr denkbar. Denn die Konkurrenz unter den Krankenhäusern ist groß und neben einer guten medizinischen und pflegerischen Behandlung gewinnen Service und Komfortelemente gleichermaßen an Bedeutung.
Ökonomischer Druck erschwert den Wandel.
Die finanziellen Ressourcen spielen ebenfalls eine Rolle. Wenn die wirtschaftlichen Mittel kaum ausreichen, um die notwendigsten Investitionen zur Aufrechterhaltung des Betriebs zu tätigen, wird auf Extras und Komfort verzichtet. Sogar bei Neubauten bleiben sinnvolle Vorschläge zur Verbesserung der Patientenorientierung auf der Strecke. Dazu zählen vor allem wünschenswerte Lösungen im Bezug auf Räumlichkeiten:
- Lagerkapazitäten,
- Beleuchtung,
- Wegleit- und Orientierungssysteme,
- ausreichend große Patientenzimmer und Bäder, um sich auch mit Hilfsmitteln im Zimmer noch bewegen zu können,
- Besprechungsräume für ein Vier-Augengespräch mit dem Arzt,
- Ruhe- und Wartezonen,
- aber auch Speisenversorgungssysteme, wie z. B. ein Patientenrestaurant anstatt Essen im Patientenbett.
Die Gründe liegen in den hohen Kosten, aber auch darin, dass diesen Aspekten noch immer zu wenig Bedeutung beigemessen wird und man sich an den entscheidenden Stellen (Planungsbehörden, Architekten) nicht vehement genug dafür einsetzt.
Patientenorientierung darf nicht zulasten des Personalbudgets gehen.
Selbst wenn der Wille, in Service und Komfort zu investieren, vorhanden ist, ohne ausreichende Investitionsmittel ist das nicht möglich. Oder aber die Mittel müssen aus den Erlösen der Krankenversorgung abgezweigt werden! Dieses Budget ist aufgrund der dualen Finanzierung (Betriebskosten von den Krankenkassen, Investitionsmittel vom Land) dafür aber nicht vorgesehen. Finanziert man Investitionen dennoch aus den Erlösen aus Krankhausleistungen, geht dies in der Regel zulasten der Personalbudgets. Die negativen Auswirkungen spüren wir derzeit nur zu schmerzhaft in der Pflege – das muss aufhören.
Denn die Mitarbeiter in den Gesundheitseinrichtungen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Patientenzufriedenheit. So steht im Picker Report 2013 geschrieben:
„Die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter in Gesundheitseinrichtungen hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Patientenzufriedenheit. Die Interaktion mit und die Beziehung zu den betreuenden Fachkräften hat die größte Bedeutung für die Gesamtzufriedenheit der Patienten.“
Pressmitteilung Picker Institut zum Picker Report 2013 vom 19.09.2013
Gute Arbeitsbedingungen, eine adäquate Personalausstattung, Führungs- und Unternehmenskultur haben eine große Wirkung auf die Gesamtzufriedenheit von Pflegepersonal und Ärzten. Hier sehe ich einen wichtigen Ansatzpunkt, will man das Patientenerleben und die Patientenzufriedenheit ernsthaft nachhaltig positiv verändern.