„Der Kunde ist König.“
Auch wenn es sich für uns Verbraucher nicht immer so anfühlt: Kundenorientierung ist in der Konsumgüterindustrie seit Jahrzenten ein zentrales Thema – seit etwa 2009 auch unter dem Schlagwort Customer Centricity (zu deutsch: Kundenzentrierung). Es geht dabei darum, Produkte und Prozesse an den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden auszurichten. Im Zuge der Digitalisierung ist die Kundenzentrierung nochmal wichtiger geworden. Denn der konsequente Blick durch die Kundenbrille gilt als wesentlich bei der digitalen Transformation von Geschäftsmodellen. In diesem Beitrag zeige ich Ihnen was die Gesundheitsbranche von der Kundenzentrierung der Industrie lernen kann und stelle Ihnen konkrete Design-Methoden zur Ermittlung von Patientenbedürfnissen vor.
„Der Patient ist König.“ Oder?
Im Gesundheitswesen rücken die Bedürfnisse von Patienten immer weiter in den Fokus. Zufriedene Patienten genesen schneller und sind auch für Mitarbeiter und Klinikmarketing ein Gewinn. – Es gibt viele Argumente für Investitionen in ein gutes Patientenerlebnis, aber an dieser Stelle mache ich es kurz:
Patientenzentrierung ist ein Qualitätsmerkmal medizinischer Versorgung.
Wie gelingt nun der Blick durch die Patientenbrille? Wie finden Sie heraus was Patienten wirklich brauchen? Die Konsumgüterindustrie fragt sich das bezogen auf ihre Zielgruppen seit Jahrzenten. Kundenbedürfnisse werden ermittelt, um bestehende Produkte zu verbessern und durch passende Dienstleistungen zu ergänzen oder um innovative Neuangebote zu entwickeln. Dabei müssen sich die Entwickler von ihren eigenen Vorstellungen lösen, die oftmals durch firmeninterne Erfordernisse geprägt sind. Stattdessen wollen sie die Sicht der Nutzer von Dienstleistung oder Produkt verstehen. Die Krux bei der Erfassung der Kundenbedürfnisse ist, dass die Kunden selbst nur im Rahmen der Ihnen vertrauten Möglichkeiten denken. Henry Ford hat das so ausgedrückt:
„Hätte ich die Leute gefragt, was sie sich wünschen, hätten sie gesagt eine schnellere Kutsche, aber nicht ein Auto.“
Das Feedback von Patienten ernst zu nehmen ist wichtig. Die Fragebögen des Qualitätsmanagements oder Daten aus dem Beschwerdemanagement sind gute Quellen, um erste Anhaltspunkte zu gewinnen, wie das Patientenerlebnis verbessert werden sollte. Doch um substantielle Fortschritte beim Patientenerlebnis zu machen, müssen Sie mehr tun.
Die frühe Phase der Produktentwicklung, während der sich Designer und Marketingfachleute einen Einblick in die Lebenswelt Ihrer Kunden erarbeiten wird auch Design-Research genannt. Die Design-Methoden stammen aus der Soziologie, den Wirtschaftswissenschaften, der Informatik und der Designwissenschaft selbst. Welche Design-Methode am besten zu Ihrem Vorhaben passt, hängt vom Ihrem Fragenfokus und dem Budget ab. In den folgenden Abschnitten stelle ich Ihnen die wichtigsten Design-Research-Methoden vor, die Sie zur Ermittlung von Patientenbedürfnissen einsetzen können.
Design-Methoden für die Erfassung von Patientenbedürfnissen, die Sie kennen sollten:
Service-Touchpoint-Analyse
Mit Hilfe der Service-Touchpoint-Analyse lassen sich komplette Prozesse analysieren und Investitionen in das Patientenerlebnis planen.
Als Service-Touchpoints werden Berührungspunkte bezeichnet, an denen der Patient mit dem Krankenhaus in Kontakt kommt. Das geht von der Empfehlung des einweisenden Arztes über die Krankenhaus-Website, dem Parkplatz vor der Klink, den Empfangstresen im Eingangsbereich des Gesundheitsanbieters etc. weiter bis hin zur Nachsorge oder Rechnung. Sind alle Service-Touchpoints identifiziert, beginnt die Gewichtung, die Suche nach den soggenannten Hotspots. Als Hotspots bezeichnet man die Service-Touchpoints mit hoher Bedeutung für den Patienten, bei denen Sie mit relativ wenig Mitteln spürbare Verbesserungen erzielen. Das kann manchmal schon der Austausch eines Bildes in einer Broschüre sein oder dazu führen Filme als unterstützendes Material bereit zu stellen. Je nach Klinik, Zielgruppe und Schwerpunkt fallen die Bewertungen der Service-Touchpoints sehr unterschiedlich aus.
Personas
Personas erleichtern Ihnen und anderen Interessenvertretern den Perspektivwechsel, der nötig ist um patientenzentrierte Angebote emphatisch zu entwickeln. Indem Sie sich mit fiktiven Charakteren befassen, fällt es Ihnen leichter sich in Personen hineinzuversetzen, die andere Bedürfnisse haben als Sie selbst.
Eine Persona ist eine realistische Beschreibung einer Person, also eines Patienten. Meist wird nicht nur eine Persona entwickelt, sondern mehrere. Diese sollen sich deutlich unterscheiden, denn Personas funktionieren am besten bei der Betrachtung von realistischen Extremen, z.B.: ein 80-Jähriger 170kg-Patient, eine 5-Jährige im Rollstuhl etc., und sollten immer auf Basis wirklichkeitsnaher Daten entwickelt werden.
Die Persona beschreibt den Patienten möglichst genau. Je nach Aufgabe kann der Umfang von einer einseitigen Beschreibung mit Foto bis hin zu mehrseitigen Dokumenten und einem Video variieren.
Beispiele für Personas finden sich auch in der Tourismusbranche. Sie vermitteln Tourismus-Akteuren einen Eindruck, wie die Menschen ticken, die typischer Weise in ihre Region reisen. Die Akteure können auf dieser Basis passende touristische Angebote entwickeln.
Patient-Journey-Map (Customer Journey Map)
Diese Design-Methode eignet sich sowohl für die Identifikation bestehender Probleme im Patientenerlebnis als auch bei der Planung neuer Patientenservices. Natürlich lässt sich die Technik ebenso für Ausschnitte eines Prozesses (z.B. die Krankenhausentlassung) anwenden.
Mit der Patient-Journey-Map werden fiktive Patienten (Personas) oder reale Testpatienten auf ihrer „Reise“ durch die Klinik oder das Krankenhaus begleitet. Dabei werden alle Touchpoints als Diagramm abgebildet (in der Reihenfolge in der ein Patient ihnen begegnet) und mit den Erfahrungen und Empfindungen des Patienten im Bereich des Service ergänzt.
Patient-Journey-Maps ermöglichen einen Überblick über die Faktoren, die das Patientenerlebnis bestimmen. Die visuelle Abbildung macht die Erfahrungen der Patienten leicht erfassbar. Erlebnisse verschiedener Personas können verglichen werden.
Leitfaden-Interview
Leitfaden-Interviews mit Patienten ermöglichen es herauszufinden, was den Patienten bei der Bewertung des Patientenerlebnisses wichtig ist. Anders als bei standardisierten Fragebögen können dabei Aspekte aufgedeckt werden, deren Relevanz den Fragenden im Vorfeld nicht bewusst war.
Ein Leitfaden-Interview ist ein sogenanntes halbstrukturiertes Interview. Im Gegensatz zu einem standardisierten Fragebogen werden dabei nicht fest definierte Fragen gestellt, sondern es werden Ziele und Themen festgelegt, die in einem Gespräch abgefragt werden. Diese Methode wird explorativ eingesetzt. Da die Befragten Raum für eigene Formulierungen haben und ein Gespräch mit spontanen Nachfragen entstehen kann, können Informationen gewonnen werden, an die man mit einem Fragebogen nicht kommen würde. Der Nachteil besteht in der Vergleichbarkeit der Informationen unterschiedlicher Interviews. Die gewonnen Erkenntnisse sollten also nicht verallgemeinert werden. Zur Quantifizierung werden deshalb im Anschluss auf die angepasste standardisierte Fragebögen eingesetzt.
Shadowing / Schattentage
Schattentage ermöglichen es, existierende Prozesse zu optimieren und neue Prozesse zu testen. Durch Vorher-Nachher-Wiederholungen können Effekte von Maßnahmen nachvollzogen werden.
Während eines Schattentages taucht ein Beobachter in das Patientenerlebnis ein. Ein Patient wird durch den Prozess begleitet, und dessen Verhalten und Erfahrungen beobachtet und dokumentiert. Um das Patientenerlebnis möglichst ungefiltert nachvollziehen zu können, ist es wichtig , dass der Beobachter möglichst „unsichtbar“ bleibt und den Prozess nicht stört.
Mit dieser Design-Methode können jene Stellen im Patientenerlebnis aufgedeckt werden, an denen Probleme auftreten. – Auch solche, die die beteiligten Mitarbeiter oder Patienten möglicherweise nicht als solche erkennen. Schattentage sind damit sehr nützlich, um jene Punkte zu identifizieren, bei denen Patienten in einer Befragung die eine Sache sagen, in der Praxis aber dennoch eine andere machen. Fragestellungen, für die sich Shadowing beispielsweise eigenen sind:
- Welche Fragen hat der Patient?
- Wie findet der Patient sich im Krankenhaus zurecht?
- Wo bestehen Informationslücken?
Die hier vorgestellten (und weitere) Design-Methoden haben sich verstärkt in den letzten Jahren durch alle Branchen hinweg verbreitet, denn ohne einen echten Mehrwert verkaufen sich nicht nur physische Produkte, sondern auch Dienstleistungen immer schwerer. Und das gilt ebenso für Krankenhäuser. Der steigenden Konkurrenzdruck, nicht nur um Patienten, sondern auch um Mitarbeiter, zwingt Krankenhäuser mehr und mehr dazu, die Patientenzentrierung, die auf allen Websites proklamiert wird, wirklich ernst zu nehmen. Nicht verwunderlich ist daher die stetig steigende Zahl der Krankenhäuser, die verschiedene Methoden aus dem Designbereich zur Verbesserung des Patientenerlebnisses in ihrem Haus nutzen. Was in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, ist in anderen Ländern schon seit ca. zwei Jahrzehnten gängige Praxis. Das zeigen nicht nur die vielen Beispiele aus den USA, Schweden, den Niederlanden, Neuseeland, sondern auch die Existenz der International Design & Health Academy und dem Design & Health World Congress, der jedes Jahr in einem anderen Land stattfindet.