Geräte piepsen, die schwerhörige Zimmernachbarin unterhält sich lautstark mit ihrem Besuch, das mitgebrachte Buch ist ausgelesen, die Luft riecht nach Desinfektion. Der Punkt ist erreicht, an dem man nur noch flüchten möchte: Einfach mal raus, frische Luft schnappen, eine Runde durch den Klinikpark drehen! Blöd, wenn dann die Kraft oder die Übung mit der Gehhilfe noch nicht reicht, um bis zum Park zu kommen.
Im Zwei- oder Mehrbettzimmer kommt das Bedürfnis nach Rückzug viel zu kurz. Deshalb müssen Patient/innen überall dort, wo es irgendwie geht, Ruheorte finden, die es erlauben „kurz mal weg zu sein“. Echte oder nachgeahmte Natureindrücke sind dafür ein wirksames Mittel. Das spürt jeder während eines Waldspazierganges und es ist wissenschaftlich belegt. Um Erholungseffekte zu erzielen, darf es gerne mehr sein als ein Bild einer Parklandschaft
oder ein Topf duftender Melisse:
Mit überschaubaren Mitteln lassen sich echte Oasen gestalten, die guttun und helfen, gesund zu werden.
Wie das konkret aussehen kann und auch in bestehenden Baustrukturen funktioniert, zeigt unser Konzept für das Klinikum Christophsbad. Drinnen: am Beispiel einer Sitzecke. Und Draußen: anhand eines Innenhofes.
Von der Sitzecke zum Lieblingsplatz
Bevor wir anfangen, für eine Station zu entwerfen, schauen wir uns genau an, welche Abläufe die Patienten und Mitarbeiter durchlaufen. Denn wir wollen verstehen, welche Bedürfnisse dabei auftauchen und analysieren, ob die Räumlichkeiten diesen Abläufen und Anforderungen gerecht werden.
Auf der Station der geriatrischen Reha-Klinik im Klinikum Christophsbad gab es eine Sitzecke, in der nie jemand saß. Mit ihrem Besuch blieben die Rehabilitanden/innen lieber auf dem Zimmer oder ließen sich in die weiter entfernte Cafeteria begleiten. Die Gemeinschaft mit anderen Rehabilitand/innen suchten sie eher in einem Gruppenraum. Zum Verweilen bot der zum Klinikflur offene Raum zu wenig Geborgenheit. Die Neugestaltung ändert das.
Das wandfüllende Fotomotiv, das an der Zimmerdecke von einem hinterleuchteten Druck erweitert wird, prägt den Eindruck mitten im Wald zu sitzen. Die Spann-Akustikdecke dämpft zugleich Geräusche. Die hier integrierte Beleuchtung ist dimmbar, passt sich analog dem Tageslicht der Uhrzeit an und unterstützt so die natürliche circadiane Rhythmik.
Der Boden in rauher Holzoptik und die efeuberankte Wand grenzen die Nische zum Flur hin ab. Unter der Hydrokultur wird ein Transportbett verborgen. Das anorganische Pflanzsubstrat bietet Schimmelpilzen und anderen Mikroorganismen keinen Nährboden. Im Gegenteil: Die Pflanzen verbessern die Luftqualität.
Ein Schattenspiel schafft die Illusion von Sonnenlicht, das durch ein Blätterdach fällt. Über einen Lautsprecher wird Vogelgesang eingespielt. Die Form der Sitzmöbel, farblich abgesetzte Bodenzonen und kleine Lichtquellen
unterstützen das Bedürfnis nach Privatsphäre.
Mit den individuellen Sitzgelegenheiten und der Waldaura wird der Raum zu einem Ort, an dem die Rehabilitand/innen dem Zweibettzimmer entfliehen können; wo sie Ablenkung von ihren Beschwerden und zugleich Ruhe finden.
Vom Innenhof zum Therapiegarten
In einem besonderen Co-Design-Prozess entwickeln wir gemeinsam mit den Mitarbeiter/innen der Klinik neue Lösungen. Im Christophsbad Göppingen entstand daraus die Idee, in einem Innenhof einen Therapiegarten anzulegen. Der Innenhof war zuvor von einer pragmatischen rechtwinkligen Anlage geprägt. Hier gab es eine
Terrasse, auf die im Sommer Tische und Stühle gestellt wurden. Diese wurden durchaus genutzt. Nur: niemand nahm diesen Bereich als „Grünfläche“ wahr.
Das neue Nutzungskonzept hat einen flachen Goldfisch-Teich im Zentrum, um den sich ein natürlich anmutender Pfad windet. Unterschiedlich gestaltete Ruhebereiche bieten Einzelpersonen, sowie kleinen Gruppen Sitzgelegenheiten. Dabei sind auch Menschen mit Gehhilfen oder Rollstühlen bedacht. Gestaltungselemente für ein gezieltes Mobilitätstraining(Stufen; schiefe Ebenen) fügen sich ganz und gar unauffällig ins Bild. Das bedeutet, die Patient/innen dürfen getrost vergessen, dass sie in „Behandlung” sind und trainieren stattdessen beim Spaziergang nebenbei.
Ein kreisförmiges Hochbeet, aus dessen Mitte die Therapie einer Gruppe angeleitet werden kann, ermöglicht es, Kräuter und Gemüse anzubauen. Die Auswahl der restlichen Pflanzen regt die sinnliche Wahrnehmung mit einer Vielfalt an Farben, Blatt und Blütenformen an. Der alte Baumbestand wurde in die Neugestaltung integriert.
Der Innenhof wirkt naturnah; auch der Anblick aus den umliegenden Fenstern wird damit attraktiver. Wer draußen sitzen möchte, kann dies an seinem bevorzugten Ort am Teich oder unter einem Baum tun. Von der Therapie an der frischen Luft profitieren die Patienten. Und auch für die Mitarbeiter/innen wird die Arbeit angenehmer.
Die Neugestaltung hat eine weitere Nebenwirkung: Die Mitarbeiter/innen fühlen sich ernstgenommen, weil ihre Ideen für einen Therapiegarten aufgenommen wurden. Nach unserem Co-Design-Prozess melden sich die Mitarbeiter/innen signifikant öfter mit konstruktiven Vorschlägen bei der Klinikleitung. Wichtig für die Klinikleitung ist auch: Die Mitarbeiter tragen diese positive Stimmung nach außen, was es leichter macht, Fachkräfte zu werben.
Zusammenfassung für die Praxis
Die Gestaltung unserer Krankenhäuser muss menschlichen Bedürfnissen folgen. So wie Alleen und Parkanlagen Großstädtern ermöglichen, Luft zu holen, sollten Kliniken „Naherholungsgebiete“ haben, die es Patient/innen erlauben abzutauchen. Die Healing Architecture, deren Ziel es ist, Häuser zu schaffen, macht es vor.
Der Blick ins Grüne, viel Tageslicht und der Einsatz von natürlichen Materialien spielen hier eine wichtige Rolle. Beispiele finden wir in Tübingen, mit einem Neubau für die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, und Hamburg, mit dem Neubau der Kinderklinik Eppendorf.
Jenseits solcher Leuchttürme sind Patientenzimmer, Flure und Innenhöfe deutscher Kliniken oft noch (Achtung Wortspiel!) klinisch rein und reizlos gestaltet. Grünpflanzen werden aus Gründen der Hygiene kritisch beäugt und im Patientenzimmer höchsten als Schnittblume geduldet. Dabei sind Hydrokulturen hygienisch unbedenklich. Das Gießen, Düngen und Pflege übernehmen Gärtnereien ab 3€ pro Pflanze – incl. dem Aufsammeln und Entsorgen abgestorbener Pflanzenteile.
Echte Natureindrücke sind die erste Wahl. Doch selbst durch gut eingesetztes Licht, Landschaftsbilder, Materialien und Formgebung, die dem Beispiel der Natur folgen, entstehen heilsame Umgebungen. Mit Vorstellungskraft und Kreativität entfalten auch kleine Flächen erstaunliche Wirkung. Wahrscheinlich schlummert in den Köpfen Ihrer Fachkräfte schon die ein oder andere Idee, die wir auf den Weg bringen könnten. – Für Umgebungen, in denen Patient/innen schneller gesund werden und in denen Fachpersonal gerne arbeitet.