Eine hohe Patientenzufriedenheit ist eng verknüpft mit dem Thema Mitarbeiterzufriedenheit. Aktuell spielt dabei das Thema flexible Arbeitszeitmodelle eine besondere Rolle. Doch die „auf den Boden“ zu bekommen ist in dem starren System Krankenhaus nicht leicht.
Rebecca Weikinnis, Pflegedirektorin der Klinik Bosse Wittenberg und des St. Joseph Krankenhauses, geht dieses Thema aktiv und mit neuen Wegen an. Um gewohnte Denkmuster aufzubrechen, hat sie sich dazu Methoden aus anderen Branchen gesucht und mit Ihren Mitarbeiter*innen ausprobiert.
Zusammen mit Sarah Pecher, Assistentin der Pflegedirektorin der Alexianer Sachsen-Anhalt GmbH, gewährt sie uns einen Blick hinter die Kulissen und berichtet von der Implementierung der „Agilen Organisation“ unter Einbindung der Interessen der Mitarbeiter mit Hilfe der 6-3-5 Methode.
Hintergrund
Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.
Albert Einstein
Die agile Organisation ist eine neue moderne Unternehmenskultur, vorrangig aus der Softwareentwicklung. Doch die agile Arbeitsweise nimmt auch immer mehr andere Branchen mit in Beschlag. Es geht gerade nicht mehr nur um Scrum oder Frameworks, sondern viel mehr um das Miteinander und einer Arbeitsweise auf Augenhöhe.
Das bedeutet jeden Tag bereit zu sein sich für folgende Werte einzusetzen: Kommittent, Fokus, Offenheit und Mut. Also jeder der eine Aufgabe übernimmt, soll alles daran setzen, sie in der vorgegebenen Zeit auch zu bewältigen. Er sollte die Offenheit und den Mut haben, jederzeit darauf hinzuweisen, dass Hilfe nötig ist oder dass es eine neue Herangehensweise braucht, um das Ziel zu erreichen.[1]
Unter diesen Gesichtspunkten wurde im St. Joseph-Krankenhaus Dessau eine Projektgruppe ins Leben gerufen. In einem intensiven Zeitraum von 4 Wochen, mit jeweils einem Projekttag wöchentlich, wurde zusammen erörtert, was genau die agile Organisation ist und was sie beinhaltet. Abschließend wurde zusammengetragen welche Möglichkeiten es zukünftig in der Gesundheitsbranche geben könnte.
Gerade im Fachbereich Pflege ist weiterhin das hierarchische Denken weit verbreitet und Pflegekräften fällt es oft schwer sich auf Neuerungen und Innovationen vertrauensvoll einzulassen. Daher war der Beginn der Projektarbeit holprig, denn auch selbstbestimmtes Arbeiten muss erlernt werden. Doch schnell wurde klar, die Stimmen und Interessen der Pflegefachkräfte sind wichtig und wollen gehört werden. Gerade eine ausgewogene Work-Life-Balance ist gefragt wie nie zuvor und benötigt besonders in der Zeit des Fachkräftemangels viel Aufmerksamkeit um den Beruf der Pflegefachkräfte attraktiv zu gestalten und eine Fluktuation zu vermeiden. Aus diesem Grund war es auch äußerst wichtig die Projektgruppe genau mit den Personen zu besetzen, die es schlussendlich auch erreichen soll. Ganz nach dem Motto: Die Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo sie gebraucht werden.
Change-Management Projekt aufbauen
Unter Beachtung des Veränderungsvorhabens sind vor allem die Führungskräfte entscheidend. Ihre äußere sowie innere Haltung zu diesem Projekt ist vor allem für die Motivation und Involvierung, sowie für die Richtungsweisung der MitarbeiterInnen ausschlaggebend. So entstand die Projektgruppe aus den Stationsleitungen plus je einer weiteren Pflegefachkraft der Station bzw. der Tagesklinik, der Leitung der Ergo- und Physiotherapie sowie einem IT-Pflegemitarbeiter. Die Projektgruppe besteht aus 14 Personen, die immer im engen Austausch mit der Pflegedirektorin Frau Weikinnis sind. Dienstplanbedingt konnten aber nie alle 14 Teilnehmer gleichzeitig vor Ort sein.
Nachdem einige Priorisierungen in der Gruppe gefunden wurden, stellte Frau Rebecca Weikinnis; Pflegedirektorin der Klinik Bosse Wittenberg und des St. Joseph Krankenhauses, die bewährte Kreativitätstechnik der 6-3-5 Methode vor, um im Brainwriting in möglichst kurzer Zeit viele Ideen zu sammeln und eine Basis zur Weiterverarbeitung zu gewährleisten.
Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.
Albert Einstein
Die 6-3-5 Methode eignet sich für die erste Phase im kreativen Prozess. Mit ihrer Hilfe werden Ideen gesammelt ohne dass eine Bewertung stattfindet. In kurzer Zeit können im Idealfall 108 Ideen entstehen. Die Aufforderung bestehende Ideen aufzugreifen und weiterzuentwickeln macht die 6-3-5-Methode zu einer konstruktiven Kreativitätstechnik. Die Zahlen geben bereits Auskunft über die wichtigsten Eigenschaften. 6 Teilnehmer erhalten jeweils ein Blatt Papier, auf dem sie zu einem vorher gewählten Thema 3 Ideen notieren um die Blätter dann insgesamt 5-mal weiterzureichen. Pro Runde gab es 5 Minuten Zeit. Dies wurde aufgrund mehrerer Themen in 2 Gruppen aufgeteilt[2].
Initialisierung und Konzipierung – die ersten Phasen durchlaufen
Nach dem 5-Phasen-Modell von Willfried Krüger müssen zunächst, der Wandlungsbedarf und die -ziele festgelegt werden. Dazu benötigten die MitarbeiterInnen zunächst eine Grundbasis von Informationen über ihre selbstgewählten Themenbereiche, denn was genau hinter den großen Schlagwörtern flexiblen Arbeitszeitmodelle, Home Office und Jobsharing steckt, musste zuerst beleuchtet werden. Mehrfach kamen dieselben Unsicherheiten auf, z. B.: Ob solche Modelle überhaupt für die eingefahrenen Strukturen der Gesundheitsbranche geeignet seien. Doch genau das galt es, um neue individuelle Wege zu gehen, mit dieser Projektgruppe zu ergründen, weil zufriedenere MitarbeiterInnen sich mehr individuelle Resilienzfaktoren aneignen, um die schwierigen Situationen im Umgang mit psychisch Erkrankten besser zu bewältigen.
Interview mit Rebecca Weikinnis
Wie genau wurden Sie auf die „ Agile Organisation“ aufmerksam?
Schon längere Zeit beschäftigt mich das Thema „flexible Arbeitszeitmodelle“ und der Gedanke ob und in welchem Umfang dies in der Pflege möglich ist. Das klassische 3-Schicht-Modell zeigt sich für die Lebensphasen der Mitarbeitenden als nicht ausreichend förderlich und ist für die Planung der Führungskräfte eine wahre Herausforderung. Deswegen habe ich nach einer spannenden Fortbildung gesucht und wollte aber nicht in der gleichen Branche schauen. Dabei bin ich auf die New Work Future in Hamburg gestoßen und habe in zwei Tagen eine Menge neuen Input bekommen. Themen zur lernenden Organisation, New Pay (Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle) oder auch FLEAT – Vom Unternehmen zur agilen Flotte, wurden an dieser Veranstaltung bearbeitet und diskutiert. Ein Rucksack voll mit neuen Impulsen hat mich angetrieben gemeinsam mit einer Projektgruppe an das Thema „Agile Organisation“ anzugehen.
Was bestärkte ihren Entschluss, dies in ihren Häusern einführen zu wollen bzw. eine Projektgruppe zu gründen?
Der Entschluss wird noch heute darin bestärkt auch im Krankenhaus Modelle zu integrieren, die bisher als nicht vorstellbar gelten. Ich behaupte, dass gerade „altbewährte Systeme“ davon profitieren sich mit der agilen Organisation auseinanderzusetzen. Der Begriff „Agile Organisation“ wird dann richtig eingesetzt, wenn in kleinen Schritten, gemeinsam in allen Organisationsebenen, Bewegung erzeugt wird. Zudem wird durch eine Projektgruppe erstmal das Interesse für das Thema wahrgenommen. Gemeinsam mit der Geschäftsleitung wurde das Vorgehen, in dieser Projektgruppe zu starten, geplant und daraus erzeugte Ideen in die weitere Vorgehensweise miteinbezogen.
Hatten Sie bereits Erfahrung mit der 6-3-5 Methode?
Nein, durch den Studienbrief meines Masters bin ich auf die Kreativitätstechnik aufmerksam geworden. Die Methode hat mein Interesse geweckt, es war spannend zu sehen wie erfolgreich die 6-3-5-Methode in der Projektgruppe angenommen und umgesetzt wurde. Natürlich waren auch die Ergebnisse sehr interessant.
Die Vorteile der Kreativitätstechnik wurden bereits im Artikel genannt, doch welche Nachteile bzw. Gefahren sehen Sie in der 6-3-5 Methode?
Zum Teil war es für die Teilnehmenden schwierig, unter Zeitdruck Ideen zu generieren, für Fragestellungen, die „bisher“ nicht in der Praxis angewendet wurden. Daher sind dann auch Mehrfachnennungen zu erwarten. Auch ist die Methode bei einer erstmaligen Anwendung sicher nicht so erfolgsversprechend als wenn diese bekannt ist. Die Auswertung ist zeitaufwändig und bedarf einer guten Lesekunst.
Ergebnisse der 6-3-5 Methode
Den jeweils 6 MitarbeiterInnen wurden die vorbereiteten Arbeitsblätter mit den 3 Hauptfragen vorgestellt und zur Bearbeitung zu Verfügung gestellt.
- Wie kann Home Office in der Pflege implementiert werden?
- Wie können Wechselschichtgruppen in die Pflege implementiert werden?
- Wie kann Jobsharing in die Pflege implementiert werden?
Dabei war es wichtig die Vorteile und Ideen aufeinander abzustimmen, aber auch Gefahren zu benennen, denn nur so kann in einer Implementierung allen Seiten die gleiche Beachtung geschenkt werden.
Danach arbeitete Frau Weikinnis alle 108 Ideen aus und fasste diese zusammen. Um einen Auszug darzustellen, die Ideen für Home Office waren mit den meisten Übereinstimmungen in den weichen Faktoren wie bspw. Vertrauen und Transparenz. In den organisatorischen Faktoren waren die Trends in Datenschutz und IT-Netzwerk zu messen und es gab signifikanteste Nennungen für den Bereich Arbeitsaufgaben, z. B. Konzepterstellung, Dienstplangestaltung.
Nach diesen intensiven 4 Wochen einigten sich alle Teilnehmer auf die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Agilen Organisation, um die Veränderungsbereitschaft zu aktivieren und auch mit dem Hintergrund, die gesammelten Ideen zu strukturieren und gemeinsam eine Konzeptionierung zu erstellen (3. + 4. Phase nach Krüger, Mobilisierung und Umsetzung). So wurde vereinbart, dass die Teilprojekte jeweils auf einer freiwilligen Station implementiert, getestet und angepasst werden, bevor die Einführung für alle gilt oder nach der Justierung die Idee als ungeeignet eingestuft wird.
Fazit
Die Idee der 6-3-5 Methode zeigt sich nachfolgend als unterstützend, denn dadurch wurde nochmals deutlich, dass die Mitarbeiter aktiv am Prozess und der Umsetzung beteiligt sind. Folglich zeigt sich, dass die drei Arbeitszeitmodelle (Jobsharing, Wechselschichtgruppen und Home Office) integriert werden können. Sei es zum einen durch die Ausrichtung an Arbeitsaufgaben und zum anderen durch die Ausrichtung der Teamstruktur bei den Wechselschichtgruppen. Werden die drei Arbeitszeitmodelle in Anwendung eines Change-Management-Prozess implementiert, können diese nachhaltig wirken.
Internetquellen:
Zec Marin (2011) 6-3-5-Methode. Online-Publikation: https://kreativitätstechniken.info/6-3-5-methode/ Seitenaufruf vom 14.04.2020
Nowotny Valentin (2018) Was ist eine agile Organisation. Online-Publikation: https://www.business-wissen.de/artikel/unternehmenskultur-was-ist-eine-agile-organisation/ Seitenaufruf vom 14.04.2020
[1] Nowotny Valentin (2018)
[2] Zec Marin (2011)
Im Januar 2019 übernahm Rebecca Weikinnis die Pflegedirektion. Damit verantwortet sie die Arbeit aller Pflegemitarbeiter in der Klinik Bosse Wittenberg und im St. Joseph-Krankenhaus Dessau. Parallel zum Job studiert Rebecca Weikinnis im Master-Studiengang Management für Gesundheits- und Sozialeinrichtungen.