Ein Interview mit Prof. Dr. med. Schulz, Chefarzt der Klinik für Geriatrie,
Geriatrische Tagesklinik, Klinik für geriatrische Rehabilitation.
Vor vier Jahren hat das St. Marien-Hospital in Köln eine spezielle Demenz- und Delirstation eingerichtet. Ziel dieses Konzeptes ist es, das Wohlgefühl der Patienten zu steigern und ihnen eine Struktur für den Tagesablauf zu bieten.
Herr Prof. Schulz, Sie haben die Räumlichkeiten für die Demenz- und Delirstation des St. Marien-Hospitals federführend mitentwickelt und in dem Bereich neue Maßstäbe gesetzt. Wie wichtig ist die räumliche Gestaltung für den Genesungsprozess und worauf haben Sie bei der Konzeption besonderen Wert gelegt?
Ein wesentlicher Grundgedanke bei der Erstellung der Station war, den architektonischen Gestaltungsweg herkömmlicher Krankenhäuser zu verlassen und eine strukturelle Aufteilung der Station in verschiedene Themenbereiche, ähnlich einem Wohnhaus, dem klassischen langgezogenen Krankenhausflur entgegenzustellen. Ziel ist nämlich, in maßgeblicher übergeordneter Weise dem kognitiv eingeschränkten und verwirrten Patienten auch bauliche Orientierungsmöglichkeiten und Strukturierungen zu ermöglichen. So gibt es also einen Ruhe-/Schlafbereich und einen Interaktions-/Kommunikationsbereich und den Bereich für Gruppentherapie und Nahrungsaufnahme inkl. Nacht-Café.
Neben der räumlichen Strukturierung spielt als Besonderheit die Licht- und Farbinteraktion eine wichtige Rolle, so dass eine 24 Stunden laufende zirkadiane Beleuchtung im Sinne eines physiologischen Tag-Nacht-Rhythmus vorgegeben und mit Wandfarben (in Kooperation mit Farbpsychologen erarbeitet) eine bestimmte Stimmung erzeugt wird.
Mittlerweile ist die Station seit vier Jahren in Betrieb. Was ist Ihr Fazit (in Bezug auf die Patient*innen)? Was hat sich bewährt?
Das Fazit fällt grundsätzlich positiv aus und führt zu einer besonderen Teambildung, die durch die architektonische Konzeptgebung schon ausstrahlt, dass man kognitiv eingeschränkten Patienten in besonderer Weise Rechnung tragen will und ein Konzept entwickelt, das neue Wege gehen will in Bezug auf interprofessionelle Kooperation und Einbindung von Angehörigen.
Die Patienten benötigen auf dieser Station deutlich weniger Psychopharmaka, haben einen geringeren Pflegeaufwand, sind im Durchschnitt nach 4-7 Tagen aus dem Delirzustand und benötigen auf der Station keine Fixierungs- oder freiheitsentziehende Maßnahmen.
Bewährt hat sich in besonderer Weise eine wöchentliche Teamsitzung bzgl. organisatorischer und therapeutischer Innovationsmöglichkeiten mit multiprofessioneller Fortbildung.
Ebenso ist die Therapie bezüglich aktivierender Konzepte durch die zirkadiane Beleuchtung strukturierter und ergänzt sich hervorragend.
Hat die räumliche Struktur auch Auswirkungen auf die
Mitarbeiter?
Das Team zeichnet sich in der Klinik als das stabilste Team in Bezug auf Personalfluktuation und Krankenstand aus. Primäre Ängste bzgl. der Lichttherapie mit 10-facher Intensität (im Vergleich zu klassischen Stationen zur Mittagszeit) waren grundlos. Insgesamt herrscht eine hohe Zufriedenheit trotz schwieriger Versorgungssituationen bei primär unkooperativen Patienten.
Gibt es auch Dinge, die nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben?
Die Lichtsteuerung (besonders in den Abendstunden) gestaltete sich am Anfang als schwierig, da die Patienten nach kurzer Zeit aus dem Delirzustand waren und die Lichtintensität in den von den Patienten gewohnten und von ihnen klar kommunizierten Tagesrhythmus integriert werden musste. Hierzu mussten entsprechende räumliche und elektrische Anpassungen erfolgen.
Die Station wurde speziell für an Demenzerkrankte und Patient*innen mit Delir konzeptioniert. Gibt es Elemente, die Sie auch für andere Stationen empfehlen würden, weil Sie auch normal orientierten Patient*innen zugute kommen?
Grundsätzlich wären zirkadiane Beleuchtungskonzepte, die durch eine Individualisierung anpassbar wären, für jedes Krankenhaus zu fordern. Auch der Grundgedanke in der Spezialisierung von Units im Krankenhaus gemäß dem Thema „Wie will ich in einem Krankenhaus untergebracht sein und wie kann ich mich wohlfühlen?“ zu verfolgen, wäre übertragbar.
Was würden Sie anderen Krankenhäusern raten, wenn Sie eine neue Station für Menschen mit Demenz planen? Was ist das Wichtigste bei der Konzeption neuer Räumlichkeiten im Bereich der Geriatrie?
Bei der Planung einer Demenzstation sollte die Lage in einem möglichst ruhigen von lautem Durchgangsverkehr abgetrennten Bereich gelegen sein, der eine niedrige Lärmschwelle und unphysiologische Lichtverhältnisse aufweist. Konzeptionell sollte auch mit dem Bild aufgeräumt werden, solche Stationen mit alten Möbeln und Ölbildern zu überfrachten, da eine klare Strukturierung die visuelle Orientierung erleichtert.
Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch!
Eine genauere Beschreibung der Station ist folgendem Link zu finden:
http://www.st-marien-hospital.de/medizin/kliniken/geriatrie/demenz-und-delirstation/ .
Prof. Dr. med. Ralf-Joachim Schulz
Facharzt für Innere Medizin, Klinische Geriatrie, Gastroenterologie, Ernährungsmedizin, Physikalische Therapie und Balneologie
Prof. Dr. med. Ralf-Joachim Schulz bekleidete von 2008 bis 2014 die damals neugeschaffene Professur der Universität zu Köln. Zugleich wurde Prof. Schulz, der zuvor leitender Oberarzt am Ev. Geriatriezentrum Berlin (EGZB) / Forschungsgruppe Charité war, Chefarzt der Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital. Von 2009 bis 2018 war er dort darüber hinaus ärztlicher Direktor.
Von 2012 bis 2018 war Prof. Schulz Vorstandsmitglied und Präsident der der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und Vorstandsmitglied der Europäischen Fachgesellschaft für Geriatrie (EUGMS). Er ist Herausgeber und Autor mehrere Fachbücher und publiziert international auf dem Gebiet der Geriatrie mit den Schwerpunkten Demenz, Mangelernährung, Alterstraumatologie und Versorgungsforschung.