Wie erholsam sind 15 min Pause zwischen muffelnden Straßenschuhen der Kolleginnen und dem Stapel frischer Arbeitskleidung? Wie hoch ist die Konzentration, wenn mehrere Übergabegespräche parallel auf engstem Raum stattfinden? Und wie professionell fühlt es sich an, mit Angehörigen zum Gespräch auf den Klinikflur ausweichen
zu müssen? – Der Arbeitsalltag des medizinischen Personals ist geprägt von Arbeitsverdichtung, Zeitdruck und Unterbesetzung. Grund genug, wenigstens räumliche Bedingungen zu schaffen, die unterstützend und wertschätzend wirken, oder? In den Krankenhäusern und Kliniken Deutschlands ist eher das Gegenteil der Fall. Und das passt so
gar nicht zum viel beklagten und sehr realen Ringen um Fachkräfte:
Neue Mitarbeiter/innen zu finden ist fast unmöglich. Die, die da sind, wollen gehalten werden und sollen gesund bleiben. Deshalb: Besser gestaltete Personalflächen sind notwendig! Wie das gehen kann, erklären wir hier am Beispiel des Stationszimmers.
Vorbild Büro
Werfen wir einen kurzen Blick in andere Branchen: Vom Schuh-Start-up On, den IT-Giganten Google bis hin zum Traditionsunternehmen Siemens gestalten Firmen „neue Bürowelten“. Dort suchen sich Angestellte jeden Tag neu den Platz, an dem sie sich mit ihrer momentanen Aufgabe wohlfühlen. Angestaubte Büroarbeitsplätze verwandeln sich in Orte, die Menschen dazu bringen, Ideen auszutauschen und kreative Lösungen zu finden. Dadurch werden Kosten gespart, Imagepflege betrieben und – ja, genau – Fachkräfte umworben. Treiber für diesen Wandel ist die Digitalisierung, die es ermöglicht, von wechselnden Orten aus zu arbeiten. Natürlich sind die Aufgaben von medizinischen Fachkräften anders oder zumindest vielfältiger als die im Büro. Dennoch lassen sich folgende Gestaltungsregeln aus den „neuen Bürowelten“ auf die Innenarchitektur von Kliniken übertragen.
- Prozesse zuerst betrachten
Neue Arbeitskulturen haben zu neuen Büroeinrichtungen geführt. Nicht umgekehrt. Deshalb: Bevor wir auf der Station den Schlaghammer in die Hand nehmen, müssen wir Arbeitsabläufe verstehen, hinterfragen und wenn nötig optimieren. - Räume clever strukturieren
Moderne Büros kombinieren Kommunikations- und Konzentrationszonen auf engem Raum. Auch für Kliniken gilt: Sinnvoll aufgeteilte Räumlichkeiten sind der Schlüssel zu flüssigen und effizienten Arbeitsabläufen - Atmosphäre schaffen
Farbe, Licht und Akustik haben einen enormen Einfluss auf unser Leistungsvermögen und lassen sich mit einfachen Mitteln gestalten. Darum müssen wir fragen: An welcher Stelle braucht das medizinische Personal höchste Konzentration? Und wo darf es abschalten? - Zeitgemäße Möbel einsetzen
Aktuelle Einrichtungen für Büros schlagen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Sichtschutzelemente zum Beispiel erzeugen mit Farben wie grasgrün und quietschgelb ein lebendiges Ambiente und verbessern gleichzeitig die Akustik. Auch Klinken können davon profitieren und sich aus den Katalogen der Büromöbelhersteller bedienen.
Beispiel Klinikum Christophsbad
Wie Personalflächen im Krankenhaus so gestaltete werden können, dass sie die Arbeitsprozesse gezielt unterstützen, zeigt ein Beispiel im Klinikum Christophsbad. Unser Auftrag: ein ganzheitliches Konzept zur Neugestaltung der Klinik für Geriatrische Rehabilitation zu entwickeln. Dabei haben wir das Stationszimmer von Grund auf neu geplant. Die unterschiedlichen Aufgaben des Stationsteams, erhielten einen passenden räumlichen Rahmen.
Trennung von Empfang und Stationszimmer
Wo ist das Zimmer 216? Haben Sie eine Blumenvase für mich? – Nicht nur am Eingang eines Krankenhauses, sondern auch beim Betreten einer Station benötigen Patienten und Angehörige Orientierung und vor allem eine/n Ansprechpartner/in. Um das zu gewährleisten, dient ein klar gestalteter Empfang als Anlaufstelle und gibt Patienten sowie Angehörigen Sicherheit. So wird das gesamte medizinische Team entlastet.
Aufteilung in Kommunikations- und Konzentrationszonen
Bodenbelag, Farbe und Licht werden eingesetzt, um unterschiedliche Bereiche zu kennzeichnen, zum Beispiel für Besprechungen, Ruhe oder Stellplätzen für Pflegewagen. Die Plantafel ist das Zentrum eines Stationszimmers. Als frei stehende Zwischenwand schirmt das Stationszimmer vom Krankenhausflur ab, denn durch ständiges Kommen und Gehen stehen Türen von Stationszimmern häufig offen. Ein großer, zentraler Besprechungstisch mit flexibel erweiterbaren Sitzmöglichkeiten steht für verschiedene Besprechungsformate bereit. Zur Übergabe und Dokumentation können sich die Mitarbeiter/innen allein oder zu zweit an Kurzzeitarbeitsplätze mit Steh-Sitzen, Computerzugang und geräuschdämmenden Trennwänden zurückziehen.
Besondere Konzentration erfordert es, Medikamente zu stellen. Deswegen entwickelten wir eigens einen Medikamentenschrank, der auf kleiner Stellfläche größtmögliche Konzentration und ausreichend Arbeitsfläche ermöglicht. Die Türen schirmen vom restlichen Geschehen ab. Das integrierte Licht ist so ausgelegt, dass es die Konzentration fördert.
Streitbar: Integration des Pausenraumes in das Stationszimmer
Innerhalb des Stationszimmers, direkt an einem hellen Fenster, befindet sich ein abgetrennter kleiner Bereich: der Pausenraum. Die hier eingesetzten warmen Farben und Materialien schaffen eine gemütliche Insel. Wer hier eintritt ist gleich in einer anderen Welt und bleibt trotzdem erreichbar. Das ermöglicht es, auch mal zu zweit in die Pause zu gehen. Um besser abzuschalten, wäre ein großzügiger Sozialraum am anderen Ende der Station ideal. Doch das würde bedeuten, auf persönlichen Austausch in der Pause zu verzichten. Denn Realität ist, dass das Personal knapp bemessen ist und Leute ausfallen. Damit wird es häufig unmöglich, dass sich mehrere gleichzeitig aus dem Team zurückziehen.
Co-Design führt zu Lösungen, die praxistauglich sind
Aber was sagen die Mitarbeiter/innen der Klinik für geriatrische Rehabilitation zu so einem Kompromiss? Nun ja, sie hatten die Idee. Ganz ehrlich: Weder die hauseigene Architektin, noch die Klinikleitung oder andere Entscheider hätten es gewagt, ihrem Fachpersonal einen „Mini-Pausenraum“ vor die Nase zu setzen. Stattdessen haben sie sich auf einen durch uns begleiteten Co-Design-Prozess eingelassen.
Kennzeichnend für unseren Gestaltungsprozess ist, dass wir genau hinschauen und nachfragen. Uns interessierte u. a.: Wer arbeitet im Stationszimmer, welche Aufgaben werden dort erfüllt und welche Bedürfnisse bestehen dabei(zum Beispiel ausreichend Platz zum Richten der Medikamente oder auch der Wunsch, von den Schulproblemen der eigenen Kinder zu berichten).
Im nächsten Schritt ließen wir die Mitarbeiter/innen ihre eigene Vision von einem idealen Stationszimmer entwickeln. Jene, die im Stationszimmer arbeiten, also Vertreter/ innen aus Pflege, Therapie, ärztlichem Dienst und Sekretariat bildeten Gruppen. Ausgestattet mit Pappe, Buntpapier und Heißklebepistole überführten sie ihre Gedanken direkt in einfache Architekturmodelle.
Frühes Testen vermeidet Fehlplanung
Nachdem die ersten Lösungen auf dem Tisch standen, kamen kleine Playmobil-Puppen ins Spiel (wortwörtlich!). In einem „Stresstest“ wurden typische und extreme Situationen, so wie sie auf der Station vorkommen, im Modell durchgegangen. Für Lösungen, die den Stresstest nicht bestanden, wurden bessere gefunden und ruckzuck eingebaut. So wurden in einem halben Tag gut durchdachte Raumkonzepte entwickelt. Die Gruppen stellten ihre Entwürfe den Entscheider/innen vor. Ad hoc wurde eine konkrete Liste mit Anforderungen an die Gestaltung des Stationszimmers formuliert.
Designer/innen übersetzen Bedürfnisse in Lösungen
Vielleicht haben Sie sich beim Betrachten der Bilder gedacht: Dieses Stationszimmer ist ja riesig. So viel Platz haben wir bei uns nicht! Auch im Klinikum Christophsbad war nach dem Co-Design-Workshop noch niemandem klar, wie die Vision in den zur Verfügung stehenden Platz passen sollte. Möglich wurde das durch die ganzheitliche Neugestaltung ganzheitlich der gesamten Station. Dabei standen, neben den Fachkräften, vor allem die Patientinnen und ihre Angehörigen im Fokus. Flure und Aufenthaltsbereiche wurden in die Neustrukturierung einbezogen.
Letztendlich war es Aufgabe der Designer/innen, mit kreativen Lösungen die unterschiedlichen Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Weil dabei die gesamte Station und nicht nur Teilbereiche einbezogen wurden, konnten Flächen ganz anders zusammengefasst werden. Dort, wo weder für Patienten noch für Personal ideale Bedingungen hatten, schufen wir wertvollen Raum, den wir den jeweiligen Bedürfnissen anpassten.
Fazit für die Praxis
In der erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Klinikum Christophsbad hat sich gezeigt: Arbeits- und Lebensprozesse in Einheit mit den Bedürfnissen der Nutzenden zu betrachten, ist unabdingbar für die Schaffung funktionierender Räumlichkeiten. Auf dieser Grundlage können individuelle, d. h. passende Lösungen erarbeitet werden. Die Nutzenden der Räume in die Veränderungsprozesse einzubeziehen, zahlt sich aus: Sinnvolle Lösungen werden gefunden und angenommen, selbst wenn sie erst einmal unkonventionell erscheinen.
Wie wir in Göppingen Ruheinseln für Patienten geschaffen haben lesen Sie hier >>